Die Annullierung eines Reisepasses und dort angebrachtes einheitliches Visum

Reiserecht

Drittstaatsangehörige können auch dann in das Hoheitsgebiet der Union einreisen, wenn sie einen gültigen Reisepass ohne Visum und ein gültiges Visum in einem ungültigen Reisepass vorlegen.

Am 8. Oktober 2010 reiste ein indischer Staatsangehöriger mit der Luftfahrtgesellschaft Air Baltic von Moskau (Russland) nach Riga (Lettland). Bei der Grenzkontrolle im Flughafen Riga legte er einen gültigen indischen Reisepass ohne Visum und einen annullierten indischen Reisepass vor, auf dem ein von Italien erteiltes gültiges einheitliches Visum angebracht war. Diesem indischen Staatsangehörigen wurde mit der Begründung, dass er kein gültiges Visum habe, die Einreise in das lettische Hoheitsgebiet verweigert.
Die lettische Verwaltung verhängte gegen Air Baltic eine Verwaltungsgeldbuße in Höhe von 2 000 lettischen Lats (etwa 2 850 Euro), da sie eine Person ohne die für den Grenzübertritt erforderlichen Reisedokumente nach Lettland befördert habe. Air Baltic focht diese Verwaltungsgeldbuße vor den lettischen Gerichten an. Das mit diesem Rechtsstreit befasste Administrativa apgabaltiesa (Regionales Verwaltungsgericht, Lettland) hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die Annullierung eines Reisepasses automatisch zur Ungültigkeit eines von einer Behörde eines Mitgliedstaats erteilten und auf diesem Reisepass angebrachten einheitlichen Visums führt. Der Gerichtshof soll auch entscheiden, ob Drittstaatsangehörige nach dem Unionsrecht (Schengener Grenzkodex und Visakodex) ein gültiges Visum in einem gültigen Reisedokument vorlegen müssen, um in das Hoheitsgebiet der Union einreisen zu können, und ob Lettland eine solche Einreisevoraussetzung in seinen Rechtsvorschriften vorsehen durfte.
In seinem Urteil vom heutigen Tag erklärt der Gerichtshof in Beantwortung der ersten Frage, dass gemäß dem Visakodex nur die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats das Visum annullieren dürfen. Dies bedeutet für den konkreten Fall, dass die Annullierung des Reisepasses durch die indischen Behörden nicht automatisch die Annullierung oder Aufhebung des von Italien erteilten Visums zur Folge haben kann.
Zur Frage, ob Drittstaatsangehörige zwingend ein gültiges Visum in einem gültigen Reisedokument vorlegen müssen, stellt der Gerichtshof fest, dass gemäß dem Schengener Grenzkodex die Einreise von Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet der Union insbesondere von zwei verschiedenen Voraussetzungen abhängt, nämlich zum einen von der Vorlage eines gültigen Reisedokuments und zum anderen von der Vorlage eines gültigen Visums.
In einem Fall wie dem hier in Rede stehenden (Drittstaatsangehöriger, der ein gültiges Visum und ein gültiges Reisedokument getrennt voneinander vorlegt) wollte der Unionsgesetzgeber nach Ansicht des Gerichtshofs nicht jegliche Möglichkeit ausschließen, in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen. So weist der Gerichtshof darauf hin, dass ein Visum gemäß dem Visakodex auf einem gesonderten Blatt (und nicht auf dem Reisedokument) angebracht werden kann, falls der ausstellende Mitgliedstaat das ihm vorgelegte Reisedokument nicht anerkennt. Außerdem enthält das Formular, das die mit den Grenzkontrollen beauftragten Behörden zur Überprüfung der Einhaltung der Einreisevoraussetzungen ausfüllen müssen, kein Kästchen, anhand dessen die Einreiseverweigerung damit begründet werden könnte, dass ein gültiges Visum nicht auf einem gültigen Reisedokument angebracht sei. Schließlich versetzt die Vorlage von zwei verschiedenen Reisedokumenten die Kontrollbehörden nach Ansicht des Gerichtshofs nicht in eine Situation, in der sie nicht in der Lage wären, unter angemessenen Bedingungen die erforderlichen Kontrollen unter Berücksichtigung der Angaben in den beiden ihnen vorgelegten Reisedokumenten durchzuführen. Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass gültige Visa nicht unbedingt auf einem gültigen Reisedokument angebracht sein müssen.
In Beantwortung der letzten Frage stellt der Gerichtshof fest, dass Lettland nicht berechtigt war, die Einreise von Drittstaatsangehörigen davon abhängig zu machen, dass ein gültiges Visum unbedingt auf einem gültigen Reisedokument angebracht sein muss. Die Mitgliedstaaten verfügen nämlich über keinen Wertungsspielraum, der es ihnen erlauben würde, Drittstaatsangehörigen die Einreise unter Berufung auf eine nicht im Schengener Grenzkodex vorgesehene Voraussetzung zu verweigern: So enthält dieser Kodex keine Vorschrift, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen würde, zusätzliche Einreisevoraussetzungen aufzustellen, da diese Voraussetzungen abschließend aufgeführt sind.


EuGH, 04.09.2014 - Az: C-575/12

Quelle: PM des EuGH

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