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Sturz vom Hotelbalkon

Reiserecht

Der Kläger, ein damals 21jähriger arbeitsloser Automechaniker, buchte bei der beklagten Reiseveranstalterin eine dreiwöchige Pauschalflugreise nach Gran Canaria für die Zeit ab 21. April 1982 zum Preis von 1.404 DM. In der Frühe des Rückreisetags (11. Mai 1982) stürzte er von dem Balkon seines Zimmers im Obergeschoß des Vertragshotels der Beklagten; das Holzgeländer der Balkonbrüstung hatte sich gelöst. Der Kläger erlitt u.a. einen Trümmerbruch des rechten Oberschenkels, der zunächst in Spanien und dann in der Bundesrepublik behandelt werden mußte. Er konnte seinen gelernten Beruf nicht mehr ausüben und wurde zum Informationselektroniker umgeschult.

Mit seiner am 14. Oktober 1982 eingereichten, am 13. November 1982 zugestellten Klage hat er zunächst ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, die Erstattung von Krankentransportkosten (2.709,70 DM), eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit (l.404 DM) sowie die Feststellung begehrt, daß die Beklagte den weiteren Schaden aus dem Unfall vom 11. Mai 1982 zu ersetzen habe, soweit die Ansprüche nicht gemäß § 1542 RVO auf gesetzliche Leistungsträger übergegangen sind. In der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 1985 hat er weitere 33.757, 95 DM Verdienstausfall sowie 480,40 DM für ein privatärztliches Gutachten gefordert, - insgesamt also 38.352, 05 DM nebst Zinsen neben dem Schmerzensgeld.

Die Beklagte hat Mitverschulden des Klägers und die Beschränkung ihrer Haftung auf den dreifachen Reisepreis eingewendet sowie wegen des Verdienstausfallschadens die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat der Klage wegen beschränkter Haftung der Beklagten nur in Höhe von 2.293 DM nebst Zinsen stattgegeben, im übrigen die Klage abgewiesen. Die in vollem Umfang eingelegte Berufung des Klägers ist nur in Höhe weiterer 483,56 DM nebst Zinsen erfolgreich gewesen. Mit der mit Ausnahme einer versagten weiteren Entschädigung von 1.337 DM für vertanen Urlaub angenommenen - Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Ansprüche auf Schmerzensgeld, Ersatz von Verdienstausfall und Gutachterkosten sowie auf Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht der Beklagten weiter.

Entscheidungsgründe:

I.1. Das Berufungsgericht spricht dem Kläger Ersatz des gesamten materiellen Schadens - mit Ausnahme des Verdienstausfalls - zu, der ihm durch den Sturz vom Balkon des Vertragshotels der Beklagten entstanden ist.

Der Sturz sei auf die bei gebotener Sicherheitsüberprüfung erkennbare Mangelhaftigkeit der Balkongitterbefestigung zurückzuführen. Die Verbindung der Holzteile miteinander und die Befestigung des Geländers an der Wand seien derart unzureichend gewesen, daß die Brüstung schon bei normaler Belastung ihre Aufgabe nicht habe erfüllen können. Für diesen Mangel müsse die Beklagte gemäß § 278 BGB einstehen, da die Leitung des Vertragshotels eine sorgfältige Überprüfung der Balkongitter schuldhaft unterlassen habe. Nicht nur das Gitter vor dem Zimmer des Klägers sei lose gewesen, sondern auch das vor dem Nebenzimmer. Aufgrund der vorgelegten Lichtbilder, der Zeugenaussagen und des Sachverständigengutachtens stehe fest, daß eine gezielte und sorgfältige Überprüfung zur Entdeckung des Mangels geführt hätte. Die Erfüllungsgehilfen der Beklagten seien somit ihrer Verpflichtung, die Hotelgäste vor schweren Gesundheitsschäden zu bewahren, nicht mit der gebotenen Sorgfalt nachgekommen.

Ein Mitverschulden dadurch, daß er das Balkongeländer zu stark belastet oder den Mangel der Befestigung nicht erkannt habe, sei dem Kläger nicht nachzuweisen. Die Beklagte könne sich auch nicht auf eine betragsmäßige Beschränkung ihrer Haftung berufen, da ihre Reise- und Zahlungsbedingungen nicht wirksam in den Reisevertrag einbezogen worden seien.

Das alles läßt Rechtsfehler nicht erkennen und wird, dem Kläger günstig, von der Revision nicht in Frage gestellt.

2. Das Berufungsgericht spricht dem Kläger eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit für nur einen Tag zu (= 67 DM).

Auch das ist nicht zu beanstanden. Die Revision ist daher insoweit nicht angenommen worden.

II. Das Berufungsgericht erachtet einen auf § 651 f Abs. 1 BGB gestützten Schadensersatzanspruch wegen Verdienstausfalls in den Jahren 1982 bis 1984 für gemäß § 651 g Abs. 2 BGB verjährt. Insoweit sei die Klage erst im Januar 1985 rechtshängig geworden. Der seinem Wortlaut nach allerdings alle Unfallfolgen umfassende Feststellungsantrag der Klageschrift habe die Verjährung dennoch nicht unterbrochen. Durch seine Begründung sei er nämlich auf solche Ansprüche beschränkt worden, welche sich auf die Wiederherstellung der Gesundheit des Klägers bezogen hätten und im Zeitpunkt der Klageerhebung weder dem Grunde noch der Höhe nach abzusehen gewesen seien. Der vom Kläger nachträglich durch Klageerweiterung geltend gemachte Lohnausfall gehöre nicht zu solchen Schäden. Vielmehr sei der Verdienstentgang nach dem Vortrag des Klägers längst vor Klageerhebung dadurch eingetreten, daß er am 1. Juni 1982 eine ihm zugesagte Geschäftsführerstelle nicht habe antreten können, die dann anderweit besetzt worden sei.

Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Eine Feststellungsklage ist zur Unterbrechung der Verjährung gemäß § 209 Abs. 1 BGB geeignet, soweit ein von der Verjährung betroffener Anspruch Streitgegenstand ist (vgl. BGH, Beschluß vom 25. Februar 1982 - III ZR 76/81 = VersR 1982, 582). Grundsätzlich unterbricht eine unbezifferte Feststellungsklage die Verjährung für den streitigen Anspruch im ganzen. Nur wenn die Feststellung ausdrücklich auf einen Teil des Anspruchs beschränkt wird, schließt sie die Verjährung des Restanspruchs nicht aus. Eine spätere Klageerweiterung auf das Ganze kann dann eine Verjährung des Restanspruchs nicht mehr ausräumen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 1953 - III ZR 34/52 = LM BGB § 847 Nr. 3 = VersR 1983, 497, 498; vom 2. Februar 1984 - III ZR 13/83 = LM GG Art. 14 (Cc) Nr. 43 = VersR 1984, 390, 391).

Mit einer wie hier auf die Feststellung gerichteten Klage, daß die Beklagte verpflichtet sei, den weiteren Schaden aus dem Unfall - über den zugleich geltend gemachten Schaden hinaus - zu ersetzen, wird der gesamte unfallbedingte Schaden rechtshängig gemacht, auch ein etwaiger Verdienstausfall. Das gilt selbst dann, wenn dieser Verdienstausfall erst im Laufe des Rechtsstreits zur Begründung eines weiteren bezifferten Ersatzanspruchs vorgetragen wird (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1958 - VI ZR 178/57 = VersR 1958, 887, 889).

Diese Grundsätze zur Wirkung einer Feststellungsklage auf die Verjährung gelten gleichermaßen für Ansprüche sowohl aus unerlaubter Handlung als auch aus Vertrag.

2. Der vom Berufungsgericht für seine Meinung angeführte Umstand, daß in der Klageschrift - obwohl möglich - der Verdienstausfall nicht erwähnt worden ist, hindert daher nicht, daß der umfassend formulierte Feststellungsantrag auch diesen Anspruch mit der Folge des § 209 BGB einbezog. Dies entspricht auch dem Erfahrungssatz, daß ein Rechtsverzicht nicht ohne weiteres zu vermuten ist, sondern eindeutiger Anhaltspunkte bedarf (Senatsurteile NJW 1987, 2582, 2585; vom 9. Juli 1964 - VII ZR 51/63 = VersR 1964, 1050, 1051 sowie vom 17. Dezember 1987 - VII ZR 16/87 - zur Veröffentlichung bestimmt). Die Beklagte hatte vernünftigerweise keinen Anlaß, der Klageschrift zu entnehmen, der Kläger werde endgültig keinen oder keinen zurückliegenden Verdienstausfall beanspruchen, wofür bei Klageerhebung ohnehin nur vier Monate in Betracht kamen. Eine ausdrückliche Einschränkung des Feststellungsantrags kann auch seiner Begründung nicht entnommen werden. Gerade weil der Kläger damals erklärtermaßen nicht absehen konnte, ob und in welchem Umfang und wann die Gesundheitsbeeinträchtigungen infolge des Oberschenkelbruchs ausgeheilt und beseitigt sein würden, und er sich daher weitere Schadensersatzansprüche offen hielt, kann von einer Ausgrenzung bestimmter Schadensersatzansprüche keine Rede sein, mag auch der angebliche Verdienstausfall damals bereits absehbar gewesen sein.

3. Ob der Kläger damals in Höhe des bereits eingetretenen Verdienstausfallschadens hätte Leistungsklage erheben können und müssen, kann dahinstehen, weil auch eine (teilweise) unzulässige Feststellungsklage die Verjährung gemäß § 209 BGB unterbricht (BGHZ 39, 287, 291; Senat VersR 1964, 1050, 1051). Ferner kommt es für die Unterbrechung der Verjährung nicht darauf an, ob der Kläger den anspruchsbegründenden Sachverhalt hinreichend dargelegt hat und dieses Vorbringen einleuchtet. Vielmehr geht es allein darum, ob von einer Sachprüfung wegen Verjährung des vermeintlichen Anspruchs abgesehen werden kann.

Dies ist hier schon bei einem vertraglichen Schadensersatzanspruch gemäß den §§ 651 f Abs. 1, 651 g Abs. 2 BGB nicht der Fall. Eine Verjährung kommt aber gemäß § 852 BGB auch dann nicht in Betracht, wenn die Beklagte für allen Schaden aus unerlaubter Handlung haftet. Denn die kurze Verjährungsfrist des Reisevertragsrechts gilt nicht für eine dem Reisenden auf der Reise zugefügte unerlaubte Handlung (ebenso Löwe in MünchKomm, BGB § 651 f Rdn. 10, § 651 g Rdn. 4; Tonner, Der Reisevertrag, 2. Aufl., § 651 g Rdn. 28; vgl. auch zur grundsätzlich selbständigen Bewertung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung Senatsurteil BGHZ 100, 157, 182/183).

III. Das Berufungsgericht verneint einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus unerlaubter Handlung und damit den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch. Die Leiter des Vertragshotels seien nicht Verrichtungsgehilfen der Beklagten im Sinne des § 831 BGB gewesen. Eine eigene Verkehrssicherungspflicht habe die Beklagte und ihre Reiseleiter am Urlaubsort ohne besondere Veranlassung nicht getroffen. Eine eigene Pflichtverletzung im Zusammenhang mit Beschaffenheit und Sicherheitsmängeln der Hotelanlage könne nämlich einem Reiseveranstalter nur dann vorgeworfen werden, wenn besonderer Anlaß zu einer Überprüfung bestehe oder wenn ein Mangel offensichtlich oder bereits beanstandet worden sei. Daran fehle es hier.

Auch dies greift die Revision mit Erfolg an.

Leistungsträger der Reiseveranstalter können zwar im allgemeinen nicht als deren Verrichtungsgehilfen angesehen werden, weil es an der dafür erforderlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit fehlt (vgl. Senat BGHZ 45, 311, 313; LG Frankfurt NJW 1985, 2424; Tempel, Materielles Recht im Zivilprozeß, 1983, S. 273). Die eigene Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters geht jedoch weiter, als das Berufungsgericht meint, und ist hier verletzt worden.

1. Nach gefestigter Rechtsprechung ist derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahr für Dritte schafft oder andauern läßt und in der Lage ist, ihr abzuhelfen, grundsätzlich auch verpflichtet, zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst abzuwenden (vgl. BGH NJW 1985, 1773, 1774; 1987, 1013). Dazu ist nicht erforderlich, daß er selbst zum Entstehen der Gefahr beigetragen hat. Als Zustandsverantwortlichkeit trifft diese Verkehrssicherungspflicht in erster Linie den jeweiligen Eigenbesitzer oder Unterhaltungspflichtigen. Als Folgepflicht aus der Verkehrseröffnung obliegt die Verkehrssicherung demjenigen, der den Verkehr eröffnet hat, als Berufs- oder Amtspflicht demjenigen, in dessen beruflichen oder amtlichen Aufgabenkreis die Verkehrssicherung fällt (vgl. Mertens in MünchKomm, BGB, 2. Aufl., § 823 Rdn. 192).

Danach trifft hier die Verkehrssicherungspflicht in erster Linie den Betreiber des Vertragshotels der Beklagten auf Gran Canaria (vgl. zu den Sorgfaltspflichten eines Hoteliers BGH, Urteil vom 20. Juni 1978 - VI ZR 18/77 = VersR 1978, 869; zur Sicherung eines Terrassengeländers OLG Stuttgart VersR 1975, 68). Für dessen unerlaubte Handlung gegenüber dem Kläger haftet die Beklagte deliktsrechtlich nicht. Dies schließt jedoch ihre gesamtschuldnerische Haftung für eigenes Verschulden nicht aus. Denn auch den Reiseveranstalter trifft eine Verkehrssicherungspflicht bei Vorbereitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reisen. Sie erstreckt sich nicht nur auf Auswahl und Kontrolle des eigenen Personals und eigener Transportmittel, sondern auch auf Auswahl und Kontrolle der Leistungsträger, so der Vertragshotels.

2. Grundsätzlich sind bei Ausübung eines Gewerbes diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH, Urteile vom 15. April 1975 VI ZR 19/74 = VersR 1975, 812; VersR 1978, 869). Danach ist für die deliktsrechtliche Haftung des Reiseveranstalters wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten von Bedeutung, welche vertragsrechtlichen Verpflichtungen ihm nach dem Gesetz und den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen typischerweise obliegen. Denn die gewerblichen Berufspflichten begründen und begrenzen zugleich auch Verkehrssicherungspflichten (vgl. von Bar, Verkehrspflichten, 1980, S. 49-51; Steffen in RGB-RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdn. 155, 259).

Mit seinem Reiseangebot übernimmt der Veranstalter Planung und Durchführung der Reise. Nach Abschluß des Reisevertrages haftet er insoweit für den Erfolg. Er trägt grundsätzlich die Gefahr des Nichtgelingens seiner Reiseveranstaltung (Senat BGHZ 85, 50, 58; 100, 157, 166 jeweils m.w.N.). Der Reisende darf daher darauf vertrauen, daß der Veranstalter alles zur erfolgreichen Durchführung der Reise Erforderliche unternimmt (Senat NJW 1985, 1165). So gehört zu den Grundpflichten des Reiseveranstalters die sorgfältige Auswahl der Leistungsträger im Hinblick auf deren Eignung und Zuverlässigkeit (Senat BGHZ 100, 185, 189). Darin erschöpft sich jedoch seine Verantwortung für die Vertragserfüllung durch Leistungsträger nicht. Er muß auch regelmäßig den jeweiligen Umständen entsprechend seine Leistungsträger und deren Leistungen überwachen (vgl. auch Bartl, Reise recht, 2. Aufl., Rdn. 8 S. 26; Tempel aaO. S. 257; Löwe in MünchKomm § 651 a Rdn. 16; Staudinger/Schwerdtner, BGB 12. Aufl., § 651 a Rdn. 97; vgl. ferner Begründung zu § 3 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs der Bundesregierung für ein Gesetz über den Reiseveranstaltungsvertrag - BT-DS 8/786 S. 16/17 - und Nr. 9.1.2 der vom Deutschen Reisebüroverband e.V. empfohlenen Allgemeinen Reisebedingungen 1984 - BAnz Nr. 240/83 vom 23. Dezember 1983 - abgedruckt bei Staudinger/Schwerdtner, Vorbem. 6 zu §§ 651 a ff., und bei Tonner aaO., Anhang).

3. Nimmt ein Reiseveranstalter ein Hotel als Leistungsträger unter Vertrag, so muß er sich zuvor vergewissern, daß es nicht nur den gewünschten oder angebotenen Komfort, sondern auch ausreichenden Sicherheitsstandard bietet. Dabei mag er im Inland weitgehend auf die bau-, feuer- und gesundheitspolizeiliche Genehmigung und Überwachung vertrauen und sich auf Stichproben beschränken dürfen, wenngleich ihn solche behördliche Kontrolle nicht ohne weiteres entlastet (vgl. BGH NJW 1985, 620, 621). Im Ausland jedoch kann er sich darauf erfahrungsgemäß keinesfalls verlassen, weil dort vielfach sowohl für die Vorschriften als auch für die behördliche Überwachung andere Maßstäbe gelten. Dort muß er sich davon überzeugen, daß z.B. von Treppen und Aufzügen, elektrischen Anlagen und sonstigen Einrichtungen keine Gefahren für die von ihm unterzubringenden Hotelgäste ausgehen (vgl. etwa LG Frankfurt NJW 1977, 1687, 1688).

Ist das Vertragshotel einmal für in Ordnung befunden worden, so befreit dies den Veranstalter nicht von der Pflicht, es regelmäßig durch einen sachkundigen und pflichtbewußten Beauftragten daraufhin überprüfen zu lassen, ob der ursprüngliche Zustand und Sicherheitsstandard noch gewahrt ist. Wie häufig und in welchem Umfang eine solche Kontrolle geboten ist, hängt von den Umständen ab. So kann es darauf ankommen, wie solide der Hotelbau und seine Einrichtung erstellt worden sind, wie stark das Hotel einerseits durch häufigen Gästewechsel “verwohnt", andererseits durch das Personal gepflegt wird, in welchem Umfang ständig kleine Mängel nach Beanstandungen oder auch ohne sie beseitigt werden und wie lang die Belegungssaison üblicherweise dauert. Dabei mögen von Fall zu Fall gelegentliche Stichproben ausreichen. Bei leichter, oft wenig solider Bauweise, wie sie in südlichen Urlaubsregionen häufig anzutreffen ist, und bei ständig wechselnder Belegung kann aber eine solche Kontrolle zu Beginn jeder Saison allenfalls den Mindestanforderungen an die Verkehrssicherungspflicht genügen.

4. Der Senat teilt nicht die Meinung der Beklagten (und des LG Frankfurt NJW 1985, 2424), den Reiseveranstalter treffe grundsätzlich nach sorgfältiger Auswahl der Ferienunterkünfte keine eigenständige Verkehrssicherungspflicht, es sei denn, Sicherungsmängel seien offensichtlich oder ihm mitgeteilt worden.

a) Die vertragliche Verpflichtung des Reiseveranstalters gegenüber dem Reisenden beschränkt sich eben nicht auf die bloße Vermittlung von Transportmitteln und Unterkünften. Vielmehr hat er diese Leistungen in eigener Verantwortung zu erbringen. Somit ist er für die Sicherheit der Hotels und Ferienwohnungen selbst mitverantwortlich, mag auch die Verkehrssicherungspflicht in erster Linie den Betreiber treffen, den er sich zum Leistungsträger gewählt hat. So erwartet denn der Reisende von ihm zu Recht mehr als von einer Agentur, die lediglich ein Hotel im Ausland vermittelt hat. Der Reiseveranstalter trägt dem weithin dadurch Rechnung, daß er in den Ferienorten örtliche Reiseleiter oder Betreuer unterhält, die sich nicht nur um die Reisenden, sondern auch um deren Unterkünfte und sonstige Reiseleistungen (Sport, Unterhaltung, Ausflüge) kümmern und bei denen Beanstandungen angebracht werden können.

b) Nimmt ein Reiseveranstalter ein Hotel, eine Wohnungs- oder Ferienanlage unter Vertrag, so versteht es sich aus der Natur des Vertrages - auch im Ausland - von selbst, daß er zu angemessener Zeit berechtigt sein muß, diese Unterkünfte von sachkundigen Beauftragten besuchen und überprüfen zu lassen. Eine Verweigerung der Kontrolle oder der Beseitigung festgestellter Sicherheitsmängel müßte den Reiseveranstalter zur Kündigung des Unterbringungsvertrages und zur vorsorglichen Warnung der von ihm dort noch untergebrachten Reisenden veranlassen.

c) Es ist ihm auch zuzumuten, für die regelmäßige Kontrolle der unter Vertrag genommenen Unterkünfte und Ferieneinrichtungen Personen einzusetzen, die über hin reichende Sachkunde und kritische Sicht verfügen. Das brauchen keine Techniker zu sein; erfahrene Reiseleiter oder Beschaffer von Unterkünften dürften in der Regel dazu fähig sein. Von ihnen wird nicht die Entdeckung verborgener Mängel erwartet, sondern die Feststellung von Sicherheitsrisiken, die sich bei genauerem Hinsehen jedermann offenbaren.

d) Da aber nicht jeder Reisegast an Sicherheitsmängeln Anstoß nimmt, solange sie ihn nicht persönlich berühren, oder er sich vielfach zunächst an die Leitung des Hotels oder der Ferienanlage wendet, um Abhilfe zu erlangen, kann der Reiseveranstalter seiner Verkehrssicherungspflicht und der seiner Beauftragten an Ort nicht dadurch genügen, daß er erst auf Mängelrüge hin tätig wird. In weitläufigen Ferienanlagen oder in Ferienorten mit zahlreichen Hotels sind die örtlich verantwortlichen Reiseleiter oder Hausmeister nicht so oft und leicht zu erreichen, daß erwartet werden kann, der Reisende werde einen Mangel bei ihnen und nicht beim Leistungsträger melden.

So hat denn auch hier der Reisende Ha., der im Zimmer neben dem des Klägers wohnte und bei dem das Balkongitter genau so lose war wie das vor dem Zimmer des Klägers, diesen erheblichen Sicherheitsmangel zwar der Hotelleitung, nicht aber dem Hauptreiseleiter K. oder der Reisehelferin W. gemeldet, mit dem Ergebnis, daß bis zu dem Unfall nichts geschehen ist. Der Reisende Hö., der zuvor im Zimmer nebenan gewohnt hatte, hat von einer Beanstandung des Balkongitters bei der Hotelleitung abgesehen, weil er sie für sinnlos hielt, nachdem seine Beschwerde über Wasserversorgung und Zustand elektrischer Geräte erfolglos geblieben war. Das macht deutlich, daß der Reiseveranstalter sich grundsätzlich nicht darauf verlassen darf, schwerwiegende Sicherheitsmängel würden seinen Vertretern am Urlaubsort alsbald von den Reisenden mitgeteilt werden, so daß rechtzeitig Abhilfe geschaffen werden könne.

e) Will man (wie das LG Frankfurt aaO.) schließlich zur Abgrenzung der Verkehrssicherungspflichten vergleichsweise auf das Rechtsverhältnis Bauherr/Architekt zum Bauunternehmer abstellen, so hat der Senat bereits darauf hingewiesen, daß die Unterscheidung in “primäre" und “sekundäre" (oder “subsidiäre") Pflichten hier nicht weiter hilft. Der mit der örtlichen Bauaufsicht betraute Architekt wird zwar erst selbst verkehrssicherungspflichtig, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Bauunternehmer seinen Verkehrssicherungspflichten nicht nachkommt; der als Bauführer tätige Architekt muß aber die Gefahren auch bemerken und darf seine Augen davor nicht verschließen, um dem Haftungsrisiko zu entgehen (BGHZ 68, 169, 176).

Ähnlich ist es im Reisevertragsrecht: Der Reiseveranstalter und seine Beauftragten müssen selbst wachsam sein und dürfen sich nicht darauf verlassen, daß dies die Reisenden oder die Leistungsträger tun und sich um Abhilfe bemühen. Dabei lassen sich allerdings die Quartiere der Reisenden nicht ohne weiteres mit einer Baustelle vergleichen, bei der ein Sicherheitsmangel in der Regel offen zu Tage liegt. Die Vertreter der Reiseveranstalter müssen schon z.B. die Treppen und Flure, die Aufzüge und Zimmer selbst betreten und überprüfen, etwa wenn die Belegung in bestimmten Zeitabständen wechselt und der Zustand der Zimmer, Bäder und Balkone am leichtesten zu kontrollieren ist. Das braucht nicht ständig zu geschehen, aber in einer den örtlichen Umständen angemessenen Regelmäßigkeit, um zwischenzeitlich entstandene Gefahren zu beseitigen. Dazu gehört auch die Festigkeit von Balkonbrüstungen.

Der Reiseveranstalter ist somit aufgrund seiner eigenen gewerblichen Verkehrssicherungspflicht gehalten, die von ihm durch Leistungsträger verschafften Unterkünfte auch ohne besonderen Anlaß den Umständen entsprechend regelmäßig sorgfältig auf ihre Gebrauchssicherheit zu überprüfen und dabei entdeckte Mängel umgehend abstellen zu lassen.

5. Dieser Verkehrssicherungspflicht hat die Beklagte zugestandenermaßen nicht genügt. Sie hat lediglich vorgebracht, ihr sei der Zustand der Balkonbrüstung nicht mitgeteilt worden, dieser sei auch von der Straße her nicht zu erkennen gewesen und so habe für ihre Vertreter kein Anlaß zur Überprüfung bestanden. Damit kann sie sich - wie dargelegt - nicht entlasten. Auch ihrer Behauptung, das Hotel sei zu Beginn der Saison vom Betreiber und der Tourismusbehörde “routinemäßig" überprüft worden, hat das Berufungsgericht zu Recht keine Bedeutung beigemessen. Denn der Mangel wäre bei näherem Zusehen und Umfassen des Gitters leicht festzustellen gewesen. Die angebliche Kontrolle kann daher nur sehr flüchtig ausgefallen sein und die Beklagte von der eigenen Prüfungspflicht nicht entbinden. Nach ihrem Vortrag spricht nichts dafür, daß ihre Reiseleiter das Zimmer des Klägers oder das Nebenzimmer je betreten und die Balkongitter überprüft hätten.

Kommen somit zum Anspruchsgrund weitere Feststellungen nicht in Betracht, kann der Senat gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO insoweit in der Sache selbst entscheiden:

Die Beklagte ist schuldhaft ihrer gewerblichen Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen und hat damit ursächlich auch den Körper des Klägers verletzt; sie ist diesem daher gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Ersatz des unfallbedingten Schadens verpflichtet. Der Schmerzensgeldanspruch (§ 847 BGB) ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

IV. Das Berufungsgericht versagt dem Kläger aus denselben irrigen Erwägungen die Erstattung der zur Untermauerung des Schmerzensgeldanspruchs aufgewendeten Kosten für ein Sachverständigengutachten (480,40 DM) und verneint ein fortdauerndes Rechtsschutzinteresse für den aufrechterhaltenen Feststellungsantrag.

Auch insoweit hat die Revision Erfolg.

1. Steht dem Kläger Schmerzensgeld zu, so kann ihm auch die Erstattung derjenigen Kosten nicht verweigert werden, die er im Rahmen sorgsamer Prozeßführung für ein Gutachten über die Höhe des Anspruchs (Art und Dauer der Beschwerden) aufgewendet hat. Der ebenfalls auf § 823 Abs. 1 BGB gestützte Anspruch ist auch nicht verjährt.

2. Kann der Kläger Ersatz des gesamten materiellen und immateriellen Schadens teilweise aus Vertrag und insgesamt aus unerlaubter Handlung verlangen, so ist auch das Feststellungsinteresse wegen noch möglicher materieller wie immaterieller Unfallfolgen zu bejahen. Der Feststellungsantrag ist nach wie vor begründet (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

V. Nach alledem ist der Revision im Umfang ihrer Annahme stattzugeben und das angefochtene Urteil insoweit, auch hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreits, aufzuheben.

Der Schmerzensgeldanspruch ist dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären und der Feststellungsklage stattzugeben.

Im übrigen ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung über den Verdienstausfallschaden sowie über die Höhe des Schmerzensgeldes und der Gutachterkosten an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die gesamten Kosten des Revisionsverfahrens übertragen wird.


BGH, 25.02.1988 - Az: VII ZR 348/86

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