Ausgleichsleistung wegen Nichtbeförderung

Reiserecht

Den Fluggästen aufeinander folgender Flüge sind Ausgleichsleistungen wegen Nichtbeförderung zu erbringen, wenn diese auf eine vom Luftfahrtunternehmen zu vertretende Verspätung des ersten Flugs zurückzuführen ist. Die Ausgleichsleistung wegen Nichtbeförderung bezieht sich nicht nur auf Fälle der Überbuchung, sondern auch auf Fälle der Nichtbeförderung aus anderen – z. B. betrieblichen – Gründen.

Die Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste1 gewährt Fluggästen, deren Abgangs- oder Bestimmungsflughafen in einem Mitgliedstaat liegt, bestimmte Rechte. Eine „Nichtbeförderung“ liegt nach der Verordnung vor, wenn ein Luftfahrtunternehmen, Fluggästen die Beförderung verweigert, obwohl sie sich mit einer bestätigten Buchung rechtzeitig am Flugsteig eingefunden haben. Die Verordnung sieht jedoch Fälle vor, in denen das Luftfahrtunternehmen zur Verweigerung der Beförderung berechtigt ist. Mit Ausnahme dieser Fälle haben Fluggäste einen Anspruch auf eine unverzügliche Ausgleichsleistung, auf Erstattung des Flugpreises oder anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel sowie auf Betreuungsleistungen, während sie auf den nächsten Flug warten.
Herr Rodríguez Cachafeiro und Frau Martínez-Reboredo Varela-Villamor kauften jeweils bei der Fluggesellschaft Iberia einen Flugschein von A Coruña (Spanien) nach Santo Domingo. Dieser Flugschein wies zwei Flüge aus: den Flug A Coruña–Madrid und den Flug Madrid–Santo Domingo. Sie gaben ihr Gepäck am Schalter von Iberia auf dem Flughafen von A Coruña direkt bis zu ihrem Endziel auf und erhielten die Bordkarten für die beiden aufeinander folgenden Flüge.
Der erste Flug verspätete sich um eine Stunde und 25 Minuten. Da Iberia aufgrund dieser Verspätung davon ausging, dass diese beiden Fluggäste ihren Anschlussflug in Madrid versäumen würden, annullierte sie ihre Bordkarten für den zweiten Flug. Trotz dieser Verspätung erschienen die beiden Fluggäste bei ihrer Ankunft in Madrid zu dem Zeitpunkt am Flugsteig, als der letzte Aufruf der Gesellschaft an die Fluggäste erfolgte; das Personal von Iberia verweigerte ihnen jedoch die Beförderung mit der Begründung, ihre Bordkarten seien annulliert und ihre Plätze anderen Fluggästen zugewiesen worden. Sie warteten bis zum folgenden Tag, um mit einem anderen Flug nach Santo Domingo befördert zu werden, und erreichten ihr Endziel mit 27 Stunden Verspätung.
Da die Kläger der Ansicht waren, dass Iberia ihnen die Beförderung ohne triftigen Grund verweigert habe, erhoben sie bei den spanischen Gerichten Klage auf Verurteilung der Fluggesellschaft, ihnen jeweils die Ausgleichszahlung in Höhe von 600 Euro zu leisten, die in der Verordnung bei außergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 3 500 km vorgesehen ist. Im Verfahren machte Iberia geltend, dieser Fall sei keine Nichtbeförderung, sondern ein versäumter Anschlussflug – der keine Ausgleichsleistung zur Folge hat – da die Entscheidung, ihnen die Beförderung zu verweigern, nicht auf eine Überbuchung, sondern auf die Verspätung des vorhergehenden Flugs zurückzuführen sei.
Unter diesen Umständen fragt das nationale Gericht den Gerichtshof, ob sich der Begriff „Nichtbeförderung“ ausschließlich auf Fälle bezieht, in denen Flüge von Anfang an überbucht sind, oder ob dieser Begriff auf andere Fälle erstreckt werden kann.
In seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass sich der Begriff „Nichtbeförderung“ nicht nur auf Fälle der Überbuchung bezieht, sondern auch auf Fälle der Nichtbeförderung aus anderen – z. B. betrieblichen – Gründen.
Diese Auslegung ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Verordnung, sondern auch aus dem mit ihr verfolgten Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Der Unionsgesetzgeber hat nämlich in dem Bestreben, die seinerzeit zu hohe Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste zu verringern, 2004 eine neue Regelung eingeführt, mit der die Bedeutung des Begriffs der Nichtbeförderung erweitert wurde, so dass sämtliche Fälle erfasst sind, in denen ein Luftfahrtunternehmen einem Fluggast die Beförderung verweigert. Eine Beschränkung des Begriffs „Nichtbeförderung“ allein auf die Fälle der Überbuchung würde in der Praxis zu einer deutlichen Einschränkung des den Fluggästen gewährten Schutzes führen, da sie auch dann völlig schutzlos gestellt wären, wenn sie sich in einer mit der Überbuchung vergleichbaren Situation befinden, für die sie nicht verantwortlich sind – was dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde.
Die Verordnung sieht allerdings Fälle vor, in denen eine Nichtbeförderung gerechtfertigt ist, z. B. aus Gründen der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder wegen unzureichender Reiseunterlagen. Nach Auffassung des Gerichtshofs kann jedoch eine Nichtbeförderung wie die im vorliegenden Fall nicht mit diesen Gründen gleichgesetzt werden, weil der Grund für die Verweigerung der Beförderung nicht dem Fluggast zuzurechnen ist. Die Weigerung ist hingegen auf jeden Fall vom Luftfahrtunternehmen zu vertreten. Dieses hat nämlich entweder die Verspätung des ersten von ihm selbst durchgeführten Flugs zu verantworten oder irrig angenommen, die Fluggäste könnten sich nicht rechtzeitig am Flugsteig des Anschlussflugs einfinden, oder aber Flugscheine für aufeinander folgende Flüge verkauft, bei denen die Transferzeit nicht ausreichte. Der Gerichtshof ist deshalb der Ansicht, dass ein Luftfahrtunternehmen den Kreis der Fälle, in denen es berechtigt wäre, einem Fluggast die Beförderung zu verweigern, nicht erheblich erweitern kann, weil dies dem mit der Verordnung verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde. Eine Nichtbeförderung aus betrieblichen Gründen ist daher nicht gerechtfertigt und löst die Rechte gemäß der Verordnung aus.


EuGH, 04.10.2012 - Az: C-321/11

Quelle: PM des EuGH

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